Seitdem die Begrifflichkeiten ESG, EU-Taxonomie aber auch „transition from brown to green“ in den letzten Jahren am Immobilienmarkt spürbar an Bedeutung gewonnen haben, stellt sich seither auch regelmäßig die Frage, ob und in welchem Ausmaß bereits ein Einfluss auf die Immobilienbewertung stattgefunden hat. Im Laufe der letzten Jahre sowie im derzeitigen Jahr 2024 gab es diesbezüglich spannende Entwicklungen, zu denen dieser Beitrag einen Überblick geben soll.
Blickt man ins Jahr 2021 zurück, wurde bereits damals von einer Sachverständigenrunde auf Initiative von PwC Österreich in Zusammenarbeit mit RICS Österreich ein sogenanntes „Positionspapier ESG in der Immobilienwirtschaft“[1] veröffentlicht. Kernaussage war, dass sich ESG-Kriterien insbesondere auf die Bewertungsparameter der Marktmiete und den Kapitalisierungszinssatz im Rahmen des Ertragswertverfahrens auswirken. Diesbezüglich dienen insbesondere objektbezogene ESG-Ratings, also „grüne“ Gebäudezertifizierungen, zur besseren Einordnung und -schätzung. Demnach kann eine entsprechende Zertifizierung mit entsprechend hohem Scoring, z.B. nach DGNB oder LEED, beispielsweise zu einem Zinsabschlag und deshalb zu einer Werterhöhung einer Immobilie führen. Festzuhalten ist, dass es sich bei dem Papier jedoch rein um eine Empfehlung ohne Bindungswirkung o.Ä. handelt. Aufgrund der limitierten Datenverfügbarkeit und damit gleichzeitig mangels Vergleichbarkeit, ist das Ziel, die beschriebene Vorgehensweise insbesondere in quantitativer Hinsicht sukzessive weiterzuentwickeln.
Ebenfalls in 2021 wurde seitens der RICS – Royal Institution of Chartered Surveyors erstmalig ein Leitfaden in Bezug auf ESG-Faktoren bei der Bewertung von gewerblichen Immobilien („Sustainability and ESG in commercial property valuation and strategic advice, 2021“)[2] herausgegeben. Neben u.a. der Beschreibung der Rolle der Bewerter, dem Zweck der Bewertung und den relevanten Bewertungsmethoden standen vor allem die Merkmale, Marktüberlegungen und Risiken in Bezug auf Nachhaltigkeits- und ESG-Kriterien bei der Bewertung von gewerblichen Objekten im Mittelpunkt. Neben typischen Umweltaspekten wie CO2-Emissionen, Energieeffizienz und damit zusammenhängenden Investitionskosten (CapEx) fanden auch Umwelt-, Übergangs und physische Risiken sowie soziale Kriterien, wie z.B. die Erreichbarkeit mit (öffentlichen) Verkehrsmitteln und Gesundheit und Wohlbefinden der Nutzer, Eingang in den Leitfaden. Explizit wurden auch (steuer-)rechtliche Überlegungen sowie Gebäudezertifikate/-Ratings mitaufgenommen, die bei der Bewertung ebenso mitberücksichtigt werden sollten. Der Leitfaden fand zudem explizite Erwähnung in die von Deloitte veröffentlichten „ESG Real Estate Insights 2022[3]“ (konkret: „Article #3 – ESG: The valuer’s moment has arrived“).
Anfang 2024 verschaffte sich RICS mit der Veröffentlichung einer weiteren Publikation mit dem Titel „The future of real estate valuations: the impact of ESG, January 2024“[4] sowie einer ESG-Datenliste für Immobilienbewertungen („ESG data list for real estate valuations - A practical reference document on legislative, market-driven and future ESG requirements for valuers and financial clients in the EU, February 2024“[5]) in Zusammenhang mit ESG-Kriterien in der Immobilienbewertung erneut am Markt Gehör. Inhaltlich wurden als wesentliche Werttreiber Energieeffizienz, Standort, Zertifizierungen und Gebäudedesign deklariert. Wesentliche Risiken wurden als solche in Bezug auf den Klimawandel, regulatorische und soziale Risiken unterteilt. Direkte Auswirkungen von ESG-Faktoren auf Bewertungsparameter wurden in Bezug auf die Höhe der Marktmiete und der operativen Betriebsausgaben (OpEx) identifiziert. Der relevanten EU-Regulatorik, wie vor allem die EU-Taxonomie, die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD), die Energieeffizenz-Richtlinie (EED) aber auch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wurde ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet und entsprechend mitberücksichtigt. Die in Ergänzung dazu publizierte Datenliste enthält einerseits eine „Kern“-Datenliste, mit wichtigen ESG-Indikatoren zum Zweck der Bewertung der ESG-Performance sowie eine zukünftige, potenzielle Liste an Indikatoren hinsichtlich ESG-Anforderungen, die in naher Zukunft voraussichtlich an Relevanz gewinnen werden.
Abschließend sei noch auf eine im ersten Halbjahr 2024 veröffentlichte Befragung von EY Real Estate (siehe „EY Real Estate, ESG-Snapshot IV vom April 2024“[6]) zum Thema EU-Taxonomie hinzuweisen, bei der zum einen für knapp 20% der Befragten die Erfüllung einer etwaigen Taxonomiekonformität eine Verbesserung von mehr als fünf Basispunkten bei der Finanzierung führen kann. Zum anderen sehen bei Vorliegen einer Konformität mehr als ein Viertel (26%) der Umfrageteilnehmer sogar um bis zu fünf Prozent höhere Verkehrswerte, was die Schlussfolgerung zulässt, dass die EU-Taxonomie langsam aber sicher auch in der Immobilienbewertung angekommen ist und sich positiv auf den Verkehrswert einer Immobilie auswirkt (und sich voraussichtlich in Zukunft noch positiver auswirken wird).
Fazit: Sowohl die renommierte RICS als auch Umfragen und Veröffentlichungen von großen Beratungshäusern wie EY oder Deloitte bestätigen die Tendenz, dass sich ESG-Kriterien bereits jetzt schon und wohl in Zukunft noch stärker auf den Wert von Immobilien auswirken werden. Gerade „E“-Aspekte wie Energieeffizienz, Dekarbonisierung und tatsächliche Emissionsreduktion sowie deren Abbildung in Gebäudezertifikaten stehen derzeit (noch) im Vordergrund. Soziale Kriterien sollten dennoch nicht außer Acht gelassen und unterschätzt werden, da sowohl die Gesundheit und Wohlbefinden der Gebäudenutzer als auch die Standortattraktivität und die (öffentliche) Erreichbarkeit wohl auch mittel- und langfristig im Immobilienwert widerspiegeln werden.
Über den Autor: Peter Teuschler, LL.M. (WU), Corporate Sustainability Manager bei Michaeler & Partner, ist u.a. ÖGNI Consultant und EU-Taxonomy Advisor sowie zertifizierter ESG-Beauftragter für die Bau- und Immobilienwirtschaft. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren schwerpunktmäßig mit der EU-Taxonomie Verordnung im Bau- und Immobiliensektor und berät namhafte Klienten bei der effizienten Umsetzung der relevanten Kriterien. Gleichzeitig ist er spezialisiert auf Nachhaltigkeitsberichterstattung nach CSRD und ESRS und ESG-Beratung im Tourismus und Gastgewerbe.
[1] https://www.pwc.at/de/presse/2021/esg-wird-in-zukunft-die-bewertung-von-immobilien-ma%C3%9Fgeblich-beeinflussen/positionspapier-esg-in-der-immobilienbewertung.pdf
[2] https://www.rics.org/profession-standards/rics-standards-and-guidance/sector-standards/valuation-standards/sustainability-and-commercial-property-valuation?gad_source=1&gclid=CjwKCAjwxY-3BhAuEiwAu7Y6s2MwB2iJneYyF06rx_wjwnDbKJy7RoUKEJHAM0bjcuAyNLgMRdY41hoCfiMQAvD_BwE&gclsrc=aw.ds
[3] https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/fi/Documents/finance/01_ESG-Real-Estate-Insights-2022-Report.pdf
[4] https://www.rics.org/news-insights/wbef/the-future-of-real-estate-valuations-the-impact-of-esg
[5] https://www.rics.org/content/dam/ricsglobal/documents/latest-news/WBEF-ESG-and-valuation-2024-data-list.pdf
[6] https://www.ey.com/de_de/newsroom/2024/04/ey-esg-snapshot-2024#:~:text=Taxonomiekonformit%C3%A4t%20verbessert%20sowohl%20die%20Finanzierungskonditionen,Verkehrswerte%20gegen%C3%BCber%20nicht%20taxonomiekonformen%20Geb%C3%A4uden.